Kind im Stuhl vor Fototapete

 

Eine Pflegekraft berichtet über ihren Alltag in einer Bärenfamilie-Einrichtung.

Der Tag hat gerade begonnen. Noch sitzen wir gemeinsam im Übergaberaum. Diesmal sitzen wir aber anders zusammen also sonst. Mit 1,5 Meter Abstand und Mundschutz.

Eine Kollegin hat die Aromalampe mit Lavendel angeschaltet. Das kann ich gut riechen. Kurz denke ich an meinen letzten Frankreichurlaub und muss lächeln.

Wir haben für den heutigen Morgen alles besprochen und die Kinderversorgung eingeteilt. Sofort alarmiert das erste Beatmungsgerät. Es ist Lotte.

Lotte

Sie ist wach. Sie macht den Beatmungsschlauch ab und legt ihn unter ihr Kissen. Lotte signalisiert damit, dass sie aufstehen möchte. Ich gehe in ihr Zimmer und sie strahlt mich an. Sie gebärdet fröhlich und neben der Trachealkanüle kann man auch leise Töne erahnen. Sie macht mir nun deutlich, dass sie gewaschen werden möchte und danach mit Oma und Opa telefonieren möchte.

Also gut, wir legen gleich los, ich vertröste sie noch kurz, da ich noch ihre Medikamente und ihre Nahrung richten muss. Sie kann nicht selbst essen, sondern bekommt Nahrung über eine Sonde appliziert.

Ich entscheide mich Lotte zu baden. Das liebt sie und sie strahlt zufrieden. Nun sind alle Verbände gemacht und sie ist frisch eingecremt und duftet. Sie liebt Düfte und möchte an allem riechen und ekelt sich furchtbar, wenn etwas stinkt.

Langsam aber sicher wird sie ungeduldig. Die ganze Versorgung dauert ihr zu lange. Sie beginnt einfach, alles aus dem Bett zu werfen. Ich beeile mich. Mit meiner Hilfe zieht sie sich das Korsett an. Die Fußorthesen sitzen inzwischen auch.

Den Sensor zur Überwachung von Puls und Sauerstoffsättigung im Blut klebe ich vorher noch an den rechten Zeh. Jetzt ziehen wir noch das Kleid an. Wir haben es geschafft und sie kann fertig in ihren Rollstuhl.

Wieder muss Lotte kurz warten. Der Rollstuhl muss vorbereitet werden. Die kontrollierte Notfallbox muss noch in die Tasche. Die Tasche hängt dann immer am Rollstuhl, genauso wie die Nahrung, ein Absauggerät, der Stroller für den mobilen Sauerstoff und der Monitor. Der Beatmungsbeutel für den Notfall liegt ganz oben immer griffbereit in der Tasche.

Lotte ist zufrieden und sitzt an ihrem Basteltisch. Es ist ein guter Tag. Bis jetzt kein Notfallalarm. Wir können in Ruhe weiterarbeiten.

Jakob

Ich gehe zum nächsten Kind. Jakob klopft mit seinem Spielzeug rhythmisch gegen die Scheibe seines Bettes. Im Zimmer angekommen, strahlt er schon über das ganze Gesicht, wie ein Honigkuchenpferd.

„Guten Morgen“ sage ich. „Hast Du gut geschlafen?“. Sein Kopf und die Schultern wippen hin und her. Ich deute es als „ja“.

Ich schalte das Beatmungsgerät, entsprechend der ärztlichen Anordnung, aus und beginne sofort mit dem Sekretmanagement, d.h. inhalieren, absaugen und abvibrieren. Dies ist für ihn überlebenswichtig. Jetzt geht’s ihm gut. Nun lagere ich ihn in Bauchlage, da kann sein Sekret besser abfließen. Damit erspare ich ihm ein zu häufiges Absaugen.

Er wippt nun zur Musik und mag die Bauchlage. Die Rufanlage ertönt.

Daniel

Es ist das Zimmer von Daniel. Das sehe ich am Display der Rufanlage. Er hat sehr starke Krampfanfälle und könnte, wenn er dabei erbricht, im schlimmsten Fall daran ersticken. Ich bin bei ihm. Zum Glück ist es diesmal ein kleinerer Anfall. Er krampft nur leicht, aber dafür am ganzen Körper. Ich stehe am Bett und beruhige ihn. Mehr kann ich gerade nicht tun.

Ich öffne die Jalousie und beginne ihn zu waschen. Daniel ist an den Händen und Beinen bereits sehr kontrakt, d.h. steif. Deshalb bewege ich ihn bei der Grundpflege gut durch. Minimal Handling und basale Stimulation stehen nun an erster Stelle. Hektik und Stress mag er nämlich gar nicht.

Jetzt ist auch Daniel startklar für den Tag. Ich setze ihn in den Rollstuhl und wir inhalieren noch.

Frühstückspause

Nun sind meine drei Patienten vorerst versorgt und ich gehe selbst mal etwas frühstücken. In dieser Zeit übernimmt das pädagogische Team mit meiner Kollegin die Überwachung und Beschäftigung der Kids.

Mittlerweile ist es 10 Uhr und ich starte mit der nächsten Pflegerunde.

Es klingelt an der Tür. Es ist Lottes Mama. Endlich nach so vielen Tagen darf sie ihre Tochter wieder besuchen. Die Freude ist riesig auf beiden Seiten. Es ist natürlich weiterhin ein bisschen komisch, denn Besucher müssen alle Schutzmaßnahmen einhalten. Lottes Mama desinfiziert also ihre Hände, zieht sich Kittel, Handschuhe, Maske und das Visier an. Sie muss 1,5 Meter Abstand halten und darf nur eine Stunde bleiben. Aber das ist egal. Hauptsache die beiden dürfen sich wiedersehen.

Ich schaue mir die beiden an und mein Herz schmilzt. Kann man sich als Pflegekraft einen schöneren Ort zum Arbeiten vorstellen? Ich nicht. An solchen Tagen weiß ich, das ich hier richtig bin.